So meistern Fundraiser weltweit die Krise – Teil 4

Die weltweite Pandemie bedroht die Existenz mancher NGO. Andere hingegen bewegen sich in eher ruhigeren Fahrwassern, je nach finanzieller Lage und Unterstützung. Die meisten Organisationen befinden sich wahrscheinlich irgendwo dazwischen und sehen sich mit dem Ungewissen und Unsicherheiten konfrontiert, die es schwer machen, die eigene Mannschaft durch diese Zeiten zu navigieren. Julie Berthoud-Jury, Fundraising-Beraterin aus Zürich, hat die Gelegenheit genutzt und weltweit Fundraising-Kollegen zu den Auswirkungen auf ihren Arbeitsalltag und eventuelle Erkenntnisse für die Zukunft befragt: Teil 4 und letzter Teil ihrer Umfrage. Den ersten Teil (erste persönliche Erlebnisse in der Krise) lesen Sie hier. Den zweiten Teil (aktuelle Maßnahmen der jeweiligen Länder) lesen Sie hier. Teil drei, der sich dem veränderten Spenderverhalten widmet, finden Sie hier.

Wie wirkt sich die momentane Situation auf Ihren Arbeitsalltag aus? Haben Sie bereits Erkenntnisse für die Zukunft gewinnen können?

Hier die Antworten der Fundraiserinnen und Fundraiser (Stand 30.03.2020):

Kanada

Robert Dixon, Director of Development an der Ryerson University in Toronto, Kanada:

Wir alle arbeiten im Home-Office, also getrennt voneinander, und Treffen mit Spendern erfolgen über das Telefon oder via Zoom. Dadurch haben wir die Bedeutung regelmäßiger Routine und sozialer Kontakte wiederentdeckt, und zwar nicht nur mit unseren Kollegen, sondern auch mit unseren Förderern. Wir sitzen alle im selben Boot, und unsere Unterstützer wertschätzen die Kommunikation genau wie wir. Ihre Reaktionen haben mich teilweise sogar überrascht. Trotz dessen, was ich bereits hinsichtlich momentaner Unsicherheiten gesagt habe, haben einige Spender tatsächlich bereits ihre Bereitschaft erklärt, in nächster Zeit eine Großspende zu tätigen. Seien Sie also offen für alle Möglichkeiten!

China

Melody Song, Fundraising-Beraterin, Gründerin und Solution Designer von Dogoodhere.org, in Berlin, berichtet über China (basierend auf Gesprächen mit ihrer Familie, Freunden im gemeinnützigen Sektor und Ying Ye, der Generalsekretärin des Fundraising Innovation Development Center in Shanghai, China):

Viele meiner chinesischen Kollegen arbeiten rund um die Uhr gegen die Krise an. Momentan beschäftigen sie sich mit den Nachwirkungen und versuchen herauszufinden, was als nächstes zu tun ist. Die meisten NGOs in China haben ihre Fonds und Reserven aufgebraucht. Viele Großspender haben ihrerseits ihre Möglichkeiten bei der Behebung der Auswirkungen von Covid-19 ausgeschöpft. Jetzt bleibt es abzuwarten, wie sich der gemeinnützige Sektor wieder erholen wird. Auf jeden Fall ist für chinesische NGOs jetzt eins klar geworden: Sie können nicht länger in Abhängigkeit von der Regierung oder Unternehmen agieren. Einnahmequellen breiter zu fächern, hin zu Einzelspenden und anderen Möglichkeiten, darauf wird es in den nächsten Monaten ankommen.

USA, New York

Rodney M. Grabowski, Vizepräsident für University Advancement an der Universität Buffalo, New York, USA:

Momentan arbeitet die Gesamtheit aller Mitarbeiter im Home-Office unter erfolgreichem Einsatz von Video-Konferenzen. Wir passen den Umgang mit unseren Alumni an, um mehr virtuelle Verbindungen und Online-Kontakte herzustellen. In der Vergangenheit hatten wir bereits eine erfolgreich alle zwei Wochen durchgeführte Reihe der „Mittwoch-Webinare“. Jetzt versuchen wir, diese Art von Programm auszubauen und mehr Mitglieder der Universität und Alumni einzubeziehen. Als Leiter ist es absolut notwendig, dass Sie Ihrem Team drei Dinge demonstrieren: dass Sie Sorgfalt an den Tag legen, dass Sie über Einfühlungsvermögen verfügen und dass Sie zum nötigen Engagement bereit sind, in schwierigen Zeiten die Verbindung zu jedem aufrechtzuerhalten. Mein Team hat von mir regelmäßig E-Mails mit wichtigen Neuigkeiten und Hinweisen erhalten, die sowohl sinnvoll als auch beruhigend waren. Am ersten Tag, an dem wir alle im Home-Office waren, habe ich eine freiwillige virtuelle Kaffeepause abgehalten, zu der sich jeder einloggen konnte. Ich habe mir die Zeit genommen, habe sicher gestellt, dass ich vorbereitet war und dass ich aussagefähige Neuigkeiten hatte. Ich habe das Team über unsere momentane Lage informiert und dann Raum für Fragen geschaffen. Mehr als 60 Prozent unserer Angestellten hatten daran teilgenommen, und das Feedback war herausragend. Sie alle schätzten, dass sie Zugang zu mir hatten, dass ich Mitgefühl gezeigt habe und Worte gefunden habe, die Mut gemacht haben. Die Fähigkeit, in Zeiten von Krisen ein Team zu führen, trennt die Starken von den Schwachen. Der Respekt, den Sie von Ihren Angestellten, Ehrenamtlern und Unterstützern erhalten, wenn Sie deutlich als empathische Führungskraft auftreten, kann ein Leben lang anhalten.

Indien

Anup Tiwari, Vorstandsmitglied der South Asian Fundraising Group, New Dehli, Indien:

Die meisten der NGOs hatten bereits mit der Arbeit aus dem Home-Office heraus begonnen, bevor die Regierung den „Lockdown“ verordnet hatte. In Asien basiert der Großteil des Fundraisings auf Face to Face und Telemarketing. Beides ist zum Erliegen gekommen. Außerdem hat sich die Richtung der Unternehmensspenden geändert, da Unternehmen fast dazu verpflichtet sind, für staatliche Fonds beizutragen. Eine meiner bisherigen Erkenntnisse besteht darin, dass sich NGOs in der Region wohl breiter aufstellen müssen, um ihre Einkommensquellen zu erweitern und weitere Fundraising-Kanäle wie beispielsweise Direct-Response-TV, digitales Fundraising oder Großspenden. Diese Bereiche sind möglicherweise weniger durch die Auswirkungen von Covid-19 betroffen.

Schweiz

Deborah Berra, CEO, Stiftung Kindernothilfe Schweiz, Aarau:

Ich habe mich mit Online-Tools beschäftigt und mich für Microsoft Teams entschieden. Unser Migrationsprojekt manage ich über das Projektmanagement-Tool awork, und wir kommunizieren über Zoom. Unser Team sieht und hört sich regelmäßig. Einmal pro Woche versammeln wir uns zu einem gemeinsamen Call. Mit jeder meiner Mitarbeiterinnen habe ich durchschnittlich zwei Calls pro Woche. Ich bin jedoch auch über E-Mail , die Chat-Funktion in Microsoft Teams oder über WhatsApp jederzeit für mein Team erreichbar. 

Es ist eine ungewohnte, beängstigende Zeit für uns alle. Home-Office mit Kindern ist auch keine einfache Aufgabe, sich jetzt um seine Eltern zu kümmern, gestaltet sich ebenso schwierig. So lange zu Hause zu sein, kann zudem beengend wirken und führt vermehrt zu Konflikten. Trotzdem sind wir privilegiert, denn wir können von zu Hause aus arbeiten, haben ein Dach über dem Kopf und genügend zu essen und zu trinken. Es ist jedoch nicht zu unterschätzen, was das für eine psychische Belastung in der aktuellen Situation für einige sein kann. 

Ich glaube aber, dass wir aus dieser Krise gestärkt herauskommen können – wenn wir uns alle gegenseitig helfen und vor allem, wenn wir zu Hause bleiben und nur zur Not rausgehen. Mein Team bemüht sich in dieser hektischen Zeit, den Kopf bei der Arbeit zu halten. Sie strengen sich alle an, dass wir trotz dieser ungewohnten Situation weiterhin funktionieren und unsere Arbeit erledigen können. Auch für unsere Spender sind wir weiterhin da und können telefonisch oder via E-Mail erreicht werden. Ich bin stolz auf mein Team.

Spanien

Daryl Upsall, Mitglied des Institute of Fundraising, Vorstandsvorsitzender von Daryl Upsall & Associates und Daryl Upsall Consulting International, Madrid, Spanien:

Trotz der Tatsache, dass wir ein Büro in Madrid haben, sind wir es alle gewohnt, von unterschiedlichen Orten in der Welt aus zu arbeiten, sodass sich unsere Arbeitsweise gar nicht verändert hat. Wir haben alle Laptops, unser CRM, und alle Daten befinden sich in der Cloud und auf Dropbox Professional. Bei uns gehen momentan neue Anfragen in Sachen Beratung und Recruiting ein, und wir gewinnen neue Kunden. Viele Leute vertagen Entscheidungen auf einen späteren Zeitpunkt. Momentan sparen wir an Kosten für internationale Reisen und Hotels. Es ist toll, dass Kunden und Kollegen momentan nicht pendeln und dadurch leichter für Chats auf digitalen Kanälen erreichbar sind.

USA, Kalifornien

Bill Littlejohn, Geschäftsführer und Senior-Vizepräsident der Sharp HealthCare Foundation, San Diego, Kalifornien, USA:

Für Kalifornien und San Diego gilt seit dem 13. März: Quarantäne, Home-Office, keine öffentlichen Versammlungen. Da Krankenhäuser und das Gesundheitssystem als Teil der systemrelevanten Infrastruktur gelten, wird davon ausgegangen, dass alle Angestellten weiterhin zur Arbeit gehen. Trotzdem haben wir bei Sharp uns darum bemüht, die Zahl derer, die von zu Hause aus arbeiten können, zu erhöhen. In Absprache mit unserer Personalabteilung haben unsere Stiftungen zu den ersten Körperschaften gehört, die das Arbeiten im Home-Office ermöglicht haben.

Unsere Stiftungen arbeiten offiziell weiter. Aber viele unserer Teammitglieder arbeiten von zu Hause aus. Unsere wichtigsten Telefonnummern wurden so eingerichtet, dass man unter ihnen Informationen erhält, wie man uns unterstützen kann und bieten die Möglichkeit, eine Nachricht zu hinterlassen. Diese Nachrichten werden dann regelmäßig abgehört.

Die Spendenbearbeitung läuft weiter, aber nicht auf täglicher Basis (zwei- bis dreimal pro Woche, abhängig vom Umfang). Alle Meetings und Treffen sind verschoben worden, abgesagt oder werden online durchgeführt.

Wir haben alle Besuche für stationäre Patienten der „Friend of Foundation“ ausgesetzt. Stattdessen stehen wir mit dem medizinischen Betreuungspersonal in Kontakt, das gerade im Krankenhaus ist. Dadurch können wir Spenderbetreuung trotzdem gewährleisten. Alle Veranstaltungen zur persönlichen Würdigung, wie die „Guardian Angel“, unser Pflegepersonal, finden jetzt per Post und E-Mail statt. Das war uns ein sehr wichtiges Element innerhalb unserer E-Philanthropie-Strategie, die Form der Anerkennung zeitnah umzusetzen.

Die Autorin
Dr. Julie Berthoud-Jury ist Senior-Fundraising-Beraterin für SCHOMERUS – Beratung für gesellschaftliches Engagement in Zürich, Schweiz. In der Vergangenheit hat sie als Großspenden-Beraterin für das Amerikanische Rote Kreuz und „Ärzte Ohne Grenzen“ in der Schweiz gearbeitet. Ihr Fundraising-Diplom hat sie bei Adrian Sargeant abgeschlossen und ist Beiratsmitglied bei AFP Global, SwissfundraisingDay, und Mitgründerin und Mitglied in der SwissFundraising Major Donor Fachgruppe.

Deutsch von Rico Stehfest
Foto: pexels.com


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