So meistern Fundraiser weltweit die Krise – Teil 2

Die weltweite Pandemie bedroht die Existenz mancher NGO. Andere hingegen bewegen sich in eher ruhigeren Fahrwassern, je nach finanzieller Lage und Unterstützung. Die meisten Organisationen befinden sich wahrscheinlich irgendwo dazwischen und sehen sich mit dem Ungewissen und Unsicherheiten konfrontiert, die es schwer machen, die eigene Mannschaft durch diese Zeiten zu navigieren. Julie Berthoud-Jury, Fundraising-Beraterin aus Zürich, hat die Gelegenheit genutzt und weltweit Fundraising-Kollegen zu deren aktueller Lage befragt: Teil 2 Ihrer Umfrage. Den ersten Teil (persönliche Einschätzungen) lesen Sie hier. Teil 3 mit Eindrücken zum aktuellen Spendenverhalten finden Sie hier und den letzten Teil (4), der sich mit Auswirkungen auf den Arbeitsalltag und eventuelle Erkenntnisse für die Zukunft Fundraiser beschäftig, gibt es hier.

Wie gestaltet sich momentan die politische und wirtschaftliche Situation in Ihrem Land oder Ihrer Region?

Hier die Antworten der Fundraiserinnen und Fundraiser (Stand 30.03.2020):

Kanada

Robert Dixon, Director of Development an der Ryerson University in Toronto, Kanada:

Kürzlich hat das Kanadische Parlament ein Hilfspaket von 107 Milliarden Kanadischen Dollar genehmigt und die Stundung von Zahlungen wie Steuern und Studiendarlehen ermöglicht. Gleichzeitig wurde die Unterstützung für all jene erhöht, die durch Covid-19 ihren Job verloren haben. In Ontario und Toronto ist der Notstand ausgerufen worden, was die Schließung aller nicht unbedingt notwendigen Unternehmen bedeutet und Heimarbeit, wo es eben möglich ist. Die Arbeitslosenrate ist in den letzten Wochen stark gestiegen, die Aktien sind im Keller, aber Justin Trudeau hat die grundlegende Stärke von Kanadas Wirtschaft betont.

China

Melody Song, Fundraising-Beraterin, Gründerin und Solution Designer von Dogoodhere.org, in Berlin, berichtet über China (basierend auf Gesprächen mit ihrer Familie, Freunden im gemeinnützigen Sektor und Ying Ye, der Generalsekretärin des Fundraising Innovation Development Center in Shanghai, China):

Glücklicherweise fiel in China der Höhepunkt der Krise mit dem größten traditionellen Fest zusammen, dem Mond-Neujahrsfest. Zu dieser Zeit feiern alle für mindestens zwei Wochen. Das hat der Regierung anfangs den nötigen Puffer verschafft, da Fabriken und Läden wegen des Festes ohnehin geschlossen waren. Dadurch war es recht einfach, die Bevölkerung dazu aufzurufen, zu Hause zu bleiben, weil ja ohnehin die meisten bereits bei ihren Familien waren. China hat auch ein gutes Kontrollsystem, von der Kommune bis hin zu kleinen Gemeindeverbänden und ein gutes Meldesystem für die Bürger. Mit anderen Worten, die chinesische Regierung hat die Kapazitäten, die Bevölkerung zu beobachten und einzelne Bewegungen leicht zu kontrollieren. Obwohl das etwas beängstigend klingt, bin ich der Meinung, dass dieses System der Schlüssel dazu war, die Welle in China so schnell zu meistern.

USA, New York

Rodney M. Grabowski, Vizepräsident für University Advancement an der Universität Buffalo, New York, USA:

Die momentanen politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge in New York und den USA sind in letzter Zeit sehr uneinheitlich gewesen. Obwohl Buffalo, New York, eine sechsstündige Autofahrt von New York City entfernt liegt, dem Epizentrum des Ausbruchs in den USA, wurden alle Anweisungen und Richtlinien, die durch den New Yorker Governor Andrew Cuomo angeordnet worden waren, im gesamten Bundesstaat auf die gleiche Weise umgesetzt. Vor zehn Tagen ging der Bundesstaat New York von einer 50-prozentigen Arbeitsreduzierung nicht unbedingt benötigter Angestellter am 22. März komplett auf 100 Prozent herunter. Obwohl wir darauf eingestellt waren und entsprechend vorausgeplant hatten, kam das doch schneller als erwartet. Auf nationaler Ebene gibt es die große Befürchtung, dass nicht alle im Land die Sache so ernst nehmen wie wir in New York.

Die Informationen durch die Bundesregierung in Washington haben zwar klar auf „social distancing“ und das Verbot größerer Menschenansammlungen verwiesen, bringen aber keine konkreten Anweisungen für die einzelnen Bundesstaaten. Viele Bundesstaaten haben zwar die „Bleibt zuhause!“-Direktive ausgegeben, trotzdem gibt es aber einzelne Staaten, die da nicht mitmachen und damit uns alle und die Welt einem Risiko aussetzen. Hinsichtlich der Wirtschaft ist der Börsenmarkt momentan absolut unberechenbar mit beispiellosen Schwankungen der Tageskurse.

Indien

Anup Tiwari, Vorstandsmitglied der South Asian Fundraising Group, New Dehli, Indien:

Insgesamt hat die indische Regierung die entsprechende Richtung vorgegeben, indem sie 1,37 Milliarden Einwohner in den „lockdown“ geschickt hat. 0,8 Prozent des BIP wurden zur Bewältigung der Pandemie bereitgestellt. Einige Kritiker befürchten, das sei nicht genug, aber die Regierung hat für die Zukunft mehr in Aussicht gestellt. Indien hat Millionen von Angehörigen der Mittelklasse, die für einige Monate schon so um die Runden kommen werden, so wie viele andere auch auf der Welt. Aber 300 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze werden die Situation als extrem schwer erleben. Anderen Ländern Asiens mit großer Bevölkerungszahl, wie Indonesien oder die Philippinen, wird es wohl ähnlich ergehen.

Schweiz

Deborah Berra, CEO, Stiftung Kindernothilfe Schweiz, Aarau:

Die Wirtschaft steht momentan fast still. Nur noch die systemrelevanten Berufe sind am Arbeiten. Es sind diejenigen, die bisher zu wenig für ihre Arbeit verdienten, bei denen der Spardruck hoch ist und die zu wenig Anerkennung für ihre Arbeit erhielten. Alles Berufe mit einem hohen Frauenanteil. Die Anzahl der Arbeitslosen ist gestiegen. Ich bin überzeugt, diese Entwicklung wird noch bis Ende des Jahres so weitergehen.

Die Großunternehmen werden diese Zeit wahrscheinlich gut überstehen und vielleicht sogar gestärkt aus dieser Krise herauskommen. Nur, was ist mit den kleinen Unternehmen, den KMUs und den Selbststständigen? Sie sind es, die den Wirtschaftskreislauf in der Schweiz am Laufen halten. Nun sollen Kleingewerbler und Selbstständige sich noch verschulden und so noch Geld in die Kassen von Banken spülen. Das ist, schlicht gesagt, eine Sauerei.

Es heißt, nur mit Solidarität kann die Krise überwunden werden. Deshalb müssen meines Erachtens die großen Immobilienbesitzer Mieten erlassen und die Banken Kredite zu einem Nullzins an Selbstständige und Kleingewerbler vergeben. Wir haben Minuszinsen in der Schweiz (eine an sich absurde Situation), also verdienen die Banken an der Differenz zwischen der Null und dem Minuszins. Haben die Banken eigentlich das Geld, das der Staat und damit die Bewohner der Schweiz ihnen zur Rettung zur Verfügung gestellt haben, jemals zurückbezahlt?

Die letzten paar Jahrzehnte hat der angelsächsische Neoliberalismus in der Schweiz Einzug gehalten. Das ist schädlich für eine Gesellschaft, und die Ergebnisse sieht man nun in Zeiten einer Pandemie. Dieser Trend sollte wieder rückgängig gemacht werden.

Das Positive: Endlich finden unsere Politiker von links-grün bis rechts SVP einen Konsens. Ich weiß nicht, wann ich das das letzte Mal erlebt habe. Sie sollten das als Lehre für die Zukunft mitnehmen.

Spanien

Daryl Upsall, Mitglied des Institute of Fundraising, Vorstandsvorsitzender von Daryl Upsall & Associates und Daryl Upsall Consulting International, Madrid, Spanien:

Die Zeiten sind vorbei, in denen das Vorgehen der regierenden sozialistischen Partei durch Mangel an Entscheidungen gekennzeichnet war, sodass große Versammlungen wie beispielsweise die Feierlichkeiten im Rahmen des International Women’s Day möglich waren oder eine große ultra-rechte Kundgebung oder Fußballspiele. Mit dem Verkünden des „lockdown“ erfolgte eine große Reisewelle, in der die Leute in ihre Feriendomizile am Meer oder in den Bergen fuhren. Es ist eine Art Resignation spürbar, aber (noch) keine soziale Unruhe. Für eine Nation, deren größter wirtschaftlicher Sektor der Tourismus darstellt, sind die wirtschaftlichen Auswirkungen desaströs. Viele der Hotels und Restaurants trifft es hart, und sie müssen schließen. Am Ende der Pandemie wird mit Arbeitslosenquoten von 30 bis 35 Prozent gerechnet.

USA, Kalifornien

Bill Littlejohn, Geschäftsführer und Senior-Vizepräsident der Sharp HealthCare Foundation, San Diego, Kalifornien, USA:

In den USA sind die Börsenwerte in den letzten zwei Wochen um 30 Prozent eingebrochen. Die Arbeitslosenzahlen haben einen Rekord von 3.2 Millionen erreicht, und der Präsident hat eine Verordnung zur Konjunkturbelebung unterzeichnet, mit der 2 Billionen US-Dollar bereitgestellt werden. Ein großer Teil der Unternehmen in den USA ist geschlossen, und nur die nötigsten werden am Laufen gehalten. Viele arbeiten nun von zu Hause aus. Das ist eine sehr große wirtschaftliche Herausforderung. Viele hegen die Hoffnung, dass sich die Situation durch die staatlichen Fördermaßnahmen verbessert und sie in den nächsten 60 Tagen ihre Arbeit wieder aufnehmen können.

Die Autorin
Dr. Julie Berthoud-Jury ist Senior-Fundraising-Beraterin für SCHOMERUS – Beratung für gesellschaftliches Engagement in Zürich, Schweiz. In der Vergangenheit hat sie als Großspenden-Beraterin für das Amerikanische Rote Kreuz und „Ärzte Ohne Grenzen“ in der Schweiz gearbeitet. Ihr Fundraising-Diplom hat sie bei Adrian Sargeant abgeschlossen und ist Beiratsmitglied bei AFP Global, SwissfundraisingDay, und Mitgründerin und Mitglied in der SwissFundraising Major Donor Fachgruppe.

Deutsch von Rico Stehfest
Foto: pexels.com


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