So meistern Fundraiser weltweit die Krise – Teil 3

Die weltweite Pandemie bedroht die Existenz mancher NGO. Andere hingegen bewegen sich in eher ruhigeren Fahrwassern, je nach finanzieller Lage und Unterstützung. Die meisten Organisationen befinden sich wahrscheinlich irgendwo dazwischen und sehen sich mit dem Ungewissen und Unsicherheiten konfrontiert, die es schwer machen, die eigene Mannschaft durch diese Zeiten zu navigieren. Julie Berthoud-Jury, Fundraising-Beraterin aus Zürich, hat die Gelegenheit genutzt und weltweit Fundraising-Kollegen zu deren Eindruck hinsichtlich des aktuellen Spendenverhaltens in ihrem Land befragt: Teil 3 ihrer Umfrage. Den ersten Teil (erste persönliche Erlebnisse in der Krise) lesen Sie hier. Teil 2 (aktuelle Maßnahmen der jeweiligen Länder) finden Sie hier und den letzten Teil (4), der sich mit Auswirkungen auf den Arbeitsalltag und eventuelle Erkenntnisse für die Zukunft Fundraiser beschäftig, gibt es hier.

Sehen Sie bereits Veränderungen oder Trends in der Kultur des Gebens?

Hier die Antworten der Fundraiserinnen und Fundraiser (Stand 30.03.2020):

Kanada

RRobert Dixon, Director of Development an der Ryerson University in Toronto, Kanada:

Es ist noch zu früh, um mit Sicherheit sagen zu können, wie die Situation das Geben verändern wird. Vor noch wenigen Wochen war diese Situation ja unvorstellbar! Wir gehen zwar davon aus, dass die Philanthropie im Bereich des Gesundheitswesens während dieser Krise wachsen wird, gleichzeitig sehen wir auch, wie sich der Einzelne und Organisationen immer mehr ihrer Verantwortung gegenüber ihrem Umfeld bewusst werden. Möglicherweise wird Covid-19 schlussendlich auch zu einem Anstieg des zivilgesellschaftlichen Engagements führen. Allerdings erwarten wir, dass die Unsicherheiten und Unterbrechungen kurzfristig betrachtet einen Rückgang der Spenden und speziell eine Verzögerung bei Großspenden bedeuten werden.

China

Melody Song, Fundraising-Beraterin, Gründerin und Solution Designer von Dogoodhere.org, in Berlin, berichtet über China (basierend auf Gesprächen mit ihrer Familie, Freunden im gemeinnützigen Sektor und Ying Ye, der Generalsekretärin des Fundraising Innovation Development Center in Shanghai, China):

Ausgehend von den Reaktionen des chinesischen gemeinnützigen Sektors wird ein Großteil der Spenden in der Ausrüstung und Versorgung derer bestehen, die an vorderster Front gegen die Krise kämpfen, für Senioren und andere Risikogruppen, wobei Hilfe für die restliche Gemeinschaft danach kommt.

USA, New York

Rodney M. Grabowski, Vizepräsident für University Advancement an der Universität Buffalo, New York, USA:

Aktuell beobachten wir eine dramatische Verlangsamung beim Spenden. Zu dem Zeitpunkt, als sich die Pandemie in New York zu verstärken begann, gingen unsere Studenten gerade in die Semesterferien, und unsere Call-Center sollten eine Woche Pause einlegen. Jetzt, da der Großteil der Studenten nicht auf dem Campus ist, haben wir komplett aufgehört, um Spenden zu bitten. Stattdessen konzentrieren wir unsere Kommunikation darauf, Sorge und Mitgefühl zu vermitteln. Wir haben unsere Bemühungen weiter dahingehend ausgebaut, dass wir einige der mutigen Aktionen unserer Studenten, Fakultäten und unserer Angestellten herausstreichen. Bei allen geht es darum, die Stärke der Menschlichkeit aufzuzeigen. Historisch betrachtet, erhält die Universität einen hohen Anteil ihrer Großspenden im letzten Quartal des Geschäftsjahres (April–Juni). Da die Aktienmärkte allerdings momentan so stark schwanken und manche Förderer jetzt eher krisenbezogene Projekte unterstützen möchten und wir unseren Fokus neu auf die Beziehungsentwicklung mit unseren Spendern und zukünftigen Spendern ausrichten, erwarten wir nicht mehr den gleichen Umfang an Großspenden wie noch vor ein paar Wochen.

Indien

Anup Tiwari, Vorstandsmitglied der South Asian Fundraising Group, New Dehli, Indien:

In Indien werden im ersten Quartal des Jahres die meisten Spenden getätigt, weil es das Ende des Geschäftsjahres bedeutet. Deshalb erwarten wir, dass Einzelspenden in dieser Zeit nur bedingt einbrechen werden. Das zweite Quartal wird für Spenden zwar womöglich auch nicht schlecht, aber der Anteil für die gemeinnützigen Organisationen wird wohl abnehmen, weil staatliche Notfall-Fonds wohl das meiste erhalten werden. Unternehmensspenden sind bereits in diese Fonds eingeflossen, wobei sich die größte dieser Spenden auf insgesamt 200 Millionen US-Dollar belief. Seit dem Ausbruch von Covid-19 in Asien Mitte Januar wurde das aktive Fundraising in Ländern wie China, Hongkong, Südkorea, Japan oder Vietnam ziemlich bald eingestellt. Die restlichen asiatischen Länder sind zum Großteil seit Mitte Februar davon betroffen.

Schweiz

Deborah Berra, CEO, Stiftung Kindernothilfe Schweiz, Aarau:

Ich gehe davon aus, dass Spender, die uns sporadisch unterstützt haben, nicht mehr spenden werden. Ich vertraue jedoch auf unsere langjährigen Spender; sie werden auch in Krisenzeiten ihre Solidarität zeigen und Kinder in Not unterstützen. Jetzt umso mehr, wo der Coronavirus noch ungeahnte Folgen zum Beispiel in Afrika haben wird. Die WHO befürchtet Schlimmes für die Bewohner dieses Kontinents. Wir hoffen schwer, dass es nicht zu einer globalen humanen Katastrophe kommt, sind jedoch überzeugt, dass noch viel zusätzliche Arbeit in unseren Projekten auf uns zukommen wird.

Spanien

Daryl Upsall, Mitglied des Institute of Fundraising, Vorstandsvorsitzender von Daryl Upsall & Associates und Daryl Upsall Consulting International, Madrid, Spanien:

Es ist deutlich erkennbar, dass Organisationen, die sich innerhalb des Landes engagieren, große Unterstützung erfahren, wie beispielsweise die Caritas mit ihrer langen Geschichte der Versorgung von Obdachlosen und ärmeren Mitgliedern der Gesellschaft. Interessanterweise hat das Warenlager der UNICEF in Kopenhagen in Anerkennung des Beitrags von UNICEF Spanien für die weltweite Finanzierung von UNICEF eine große Menge an Personenschutzausrüstung an Spanien gespendet. Spanien hatte bis dato eine massive Knappheit an Atemschutzmasken und Schutzkleidung für medizinisches Personal. Das wurde den monatlichen Spendern gegenüber kommuniziert, was einen massiven Anstieg der Spenden zur Folge hatte, denn endlich können sie sagen, dass sie Menschen und medizinischem Fachpersonal in Spanien helfen. Das ist momentan ein beliebter Spendenzweck. Es gibt aber auch einige Überraschungen: „BirdLife International“ bekommt sehr viele Spenden, ebenso wie UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten und überraschenderweise auch die Cats Association! Andere Organisationen haben momentan ziemlich zu kämpfen, da es zu diesem Zeitpunkt nicht einfach ist, sich mit einem Problem im Ausland zu identifizieren, wenn die Not im eigenen Land so groß ist.

Als Ergebnis aus dieser Krise habe ich meine F2F-Agentur „International Fundraising“ geschlossen. Direct Response-TV läuft aber derzeit außergewöhnlich gut. Telefone funktionieren überall auf der Welt. Bei den Telefonagenturen in Spanien hat sich die Dauer eines Telefonats bei der „Warmakquise“ fast vervierfacht.

Es ist etwas schwieriger für die Menschen geworden, eine Zusage über eine monatliche Spende zu machen. Diese Zögerlichkeit resultiert aus den finanziellen Unsicherheiten. Werde ich am Ende dieser Krise noch meinen Job haben?

Nachgewiesenermaßen gibt es in Großbritannien beim Verfassen von Testamenten einen Anstieg um 400 Prozent, wobei auch Geld an gemeinnützige Organisationen gehen soll. Ich sage voraus, dass bis Ende des Jahres die Einnahmen durch Testamentsspenden in vielen westlichen Ländern nach oben gehen werden. Geschichtlich betrachtet, stieg das Geben in jeder größeren Krise an, so auch 2008. Und Spendenzwecke, die sich lokalen Projekten widmen, stehen da generell besser da als internationale.

USA, Kalifornien

Bill Littlejohn, Geschäftsführer und Senior-Vizepräsident der Sharp HealthCare Foundation, San Diego, Kalifornien, USA:

Der Bereich der Philanthropie ist in den USA geradezu explodiert, wobei viele Fonds zur Unterstützung im Kampf gegen Covid-19 eingerichtet wurden, besonders im Bereich der Gesundheitsversorgung und in jenen Bereichen, die von dem wirtschaftlichen Abschwung betroffen sind. Es gibt eine Vielzahl an Großspenden und Zuwendungen von 10 Millionen US-Dollar und mehr, davon auch einige beträchtliche Summen von Technologie-Unternehmen wie Intel und Google. Wir sehen zwar aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheiten und neuen Prioritäten eine Unterbrechung bei den herkömmlichen Großspenden, aber gleichzeitig wollen Millionen von Amerikanern mit Geldspenden, medizinischer Ausrüstung und freiwilligem Engagement helfen. Noch ist es zu früh und die Krise zu weit verbreitet, um sagen zu können, wie der Trend beim Spenden in der zweiten Jahreshälfte aussehen wird. Momentan reagieren die Menschen noch auf eine Notsituation.

Die Autorin
Dr. Julie Berthoud-Jury ist Senior-Fundraising-Beraterin für SCHOMERUS – Beratung für gesellschaftliches Engagement in Zürich, Schweiz. In der Vergangenheit hat sie als Großspenden-Beraterin für das Amerikanische Rote Kreuz und „Ärzte Ohne Grenzen“ in der Schweiz gearbeitet. Ihr Fundraising-Diplom hat sie bei Adrian Sargeant abgeschlossen und ist Beiratsmitglied bei AFP Global, SwissfundraisingDay, und Mitgründerin und Mitglied in der SwissFundraising Major Donor Fachgruppe.

Deutsch von Rico Stehfest
Foto: pexels.com


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