So meistern Fundraiser weltweit die Krise – Teil 1

Die weltweite Pandemie bedroht die Existenz mancher NGO. Andere hingegen bewegen sich in eher ruhigeren Fahrwassern, je nach finanzieller Lage und Unterstützung. Die meisten Organisationen befinden sich wahrscheinlich irgendwo dazwischen und sehen sich mit dem Ungewissen und Unsicherheiten konfrontiert, die es schwer machen, die eigene Mannschaft durch diese Zeiten zu navigieren. Julie Berthoud-Jury, Fundraising-Beraterin aus Zürich, hat die Gelegenheit genutzt und weltweit Fundraising-Kollegen zu deren aktueller Lage befragt:

Wie haben Sie die vergangenen Tage und Wochen erlebt?

Und hier die Antworten der Fundraiserinnen und Fundraiser (Stand 30.03.2020):

Kanada

Robert Dixon, Director of Development an der Ryerson University in Toronto, Kanada:

Nach dem ersten Schock haben die letzten paar Tage eigentlich ziemlich Spaß gemacht. Die digitale Technik für das Home-Office funktioniert gut, die Lebensmittelversorgung hat sich wieder normalisiert, und es war schön, extra Zeit zum Kochen, Lesen und dem Schwatzen mit Freunden und Familie zu haben. Natürlich bereitet mir die Gesamtsituation Sorgen, besonders um meine älteren Verwandten, die in Großbritannien leben. Aber Klarheit durch die einzelnen Regierungen hat in den letzten Tagen sehr geholfen.

China

Melody Song, Fundraising-Beraterin, Gründerin und Solution Designer von Dogoodhere.org, in Berlin, berichtet über China (basierend auf Gesprächen mit ihrer Familie, Freunden im gemeinnützigen Sektor und Ying Ye, der Generalsekretärin des Fundraising Innovation Development Center in Shanghai, China):

Für mich und andere, die in den USA oder in Europa leben und Familien in China haben, war diese Krise seit Anfang Januar eine echte Herausforderung! Nach zwei Monaten der Ausgangssperre kehrt China langsam zur Normalität zurück. Die Kinder gehen zwar noch nicht wieder zur Schule, aber es gibt Pläne, die Schulen am 1. Mai wieder zu öffnen. In jedem Bezirk gibt es nach wie vor strenge Kontrollen durch Freiwillige, die überwachen, wer kommt oder geht, und die Bewohner nutzen noch immer handgeschriebene Papiere, um sicher zu gehen, dass niemand ohne Registrierung unterwegs ist. Insgesamt hat sich die Situation in China in den letzten Tagen etwas entspannt.

New York, USA

Rodney M. Grabowski, Vizepräsident für University Advancement an der Universität Buffalo, New York, USA:

Für mich als Leiter der Weiterentwicklung an der Universität fühlt es sich an, als wäre ein Tag eine ganze Woche, angesichts der aktuellen dynamischen Entwicklungen. Die letzten paar Tage haben meinen Fokus stark beeinflusst. Meine oberste Priorität gilt der Gesundheit und dem Wohlergehen meines Teams (etwa 130 Personen), danach kommen unsere Unterstützer. Gleichzeitig haben wir für uns neu definiert, wie wir miteiander arbeiten, was wichtig ist, haben unsere Prioritäten so gesetzt, dass wir gut weiterarbeiten und in dieser Zeit produktiv sein können. Die aktive Einbeziehung der Spender, die Bearbeitung von Spendenanfragen und das Stewardship haben wir neu befragt und der momentanen Situation angepasst. Oft verändern wir Details auf täglicher Basis.

Indien

Anup Tiwari, Vorstandsmitglied der South Asian Fund Raising Group, New Dehli, Indien:

Die letzten paar Tage waren angefüllt von Angst um Familien, Freunde und allgemein die weniger Privilegierten in Indien und weltweit. Persönliche Unsicherheiten haben ihren Ausdruck in physischer Distanz gefunden, aber die Mehrheit der Bevölkerung, die als Tagelöhner ihr Geld verdient, kann nicht hungrig in ihren zeitweisen Unterkünften bleiben und beeilt sich jetzt, in ihre Heimatdörfer oder -städte zu gelangen. Das bringt sie und den Rest der Bevölkerung in große Gefahr. Zudem bringt das Arbeiten von zu Hause aus längere Arbeitsstunden mit sich, wenn man nicht vor Ort sein kann und alles unter dem Aspekt der Ausgangssperre managen muss.

Schweiz

Deborah Berra, CEO, Stiftung Kindernothilfe Schweiz, Aarau:

Ich habe schon früh in Italien und im Tessin die Entwicklung der Coronakrise mitverfolgt und am Mittwoch, dem 11. März 2020 beschlossen, dass wir mit Home-Office starten. Als Arbeitgeberin habe ich eine Fürsorgepflicht gegenüber meinen Mitarbeiterinnen. Wir sind grundsätzlich so ausgerichtet, dass die Arbeit von zu Hause aus möglich ist. Wir alle leben in Zürich, aber arbeiten in Aarau. Bei mir arbeiten zudem alles Mütter. Da ist es gut, wenn frau die Möglichkeit hat, etwas von zu Hause aus zu erledigen. Trotzdem mussten wir noch das eine oder andere organisieren, bevor wir voll funktionsfähig waren.

Spanien

Daryl Upsall, Mitglied des Institute of Fundraising, Vorstandsvorsitzender von Daryl Upsall & Associates und Daryl Upsall Consulting International, Madrid, Spanien:

Die vergangenen Tage waren irgendwie surreal. Am 11. März, nachdem ich viel geschäftlich unterwegs war, reisten meine Partnerin und ich zu einer lange im Voraus geplanten Pause ans Meer und konnten dann nicht wieder nach Madrid zurück. Momentan befinden wir uns in der Ausgangssperre mit angeordneter Quarantäne. Die Leute hier halten sich alle strikt daran. Das ist ein bisschen wie das Franko-Erbe. Wenn Anordnungen erlassen werden, halten sich alle daran: leere Straßen, keine Autos, die Läden geschlossen. In Großbritannien hingegen ist das ganz anders. Dort sind bis vor Kurzem die Leute noch immer bei schönem Wetter zusammengekommen und haben Partys gefeiert. Gestern war ich im Supermarkt, und dort war alles durchorganisiert. Volle Regale, die Angestellten haben die Einkaufswagen vor dem Benutzen desinfiziert und waren guter Laune. Obwohl der Beifall von Balkons hier angefangen hat, kommt es trotzdem nicht zu spontanen Solidaritätsaktionen wie etwa in anderen Ländern.

Kalifornien, USA

Bill Littlejohn, Geschäftsführer und Senior-Vizepräsident der Sharp HealthCare Foundation, San Diego, Kalifornien, USA:

Mit dem 16. März haben wir unseren monatlichen Newsletter (Philanthropy Notes) auf ein wöchentliches Update umgestellt, das an alle Spender und Vorstandsmitglieder geht, deren E-Mail-Adressen wir haben (ca. 15.000). Wir posten das auch auf unserer Homepage und nutzen so diese Plattform zur Kommunikation mit unseren Spendern. Dabei binden wir aktuell nützliche Links unserer Stiftungen und von San Diego ein. Wir hatten am 16. März für unsere erste E-Mail eine Öffnungsrate von 45 Prozent. Wie auch viele andere Organisationen aus dem Gesundheitsbereich haben wir für unsere drei Stiftungen einen Fonds eingerichtet, der Unterstützung für die Fachabteilungen von Sharp zur Verfügung stellt, um medizinische Ausrüstung und Zubehör zu beschaffen. Das umfasst auch Zubehör für den persönlichen Schutz, Beatmungsgeräte, Zelte, aber auch Weiterbildungen, um die direkte Pflege von Covid-19-Patienten zu unterstützen, auch solche in anderen Gemeinden. Für diesen Fonds haben wir mehrere großzügige Spenden erhalten.

Lesen Sie hier weitere Einschätzungen internationaler Fundraiser zu den aktuellen Entwicklungen (Teil 2) in den jeweiligen Ländern, bezüglich der Veränderungen des dortigen Spenderverhaltens (Teil 3) und zu Auswirkungen auf deren Arbeitsalltag und eventuelle Erkenntnisse für die Zukunft (Teil 4).

Die Autorin
Dr. Julie Berthoud-Jury ist Senior-Fundraising-Beraterin für SCHOMERUS – Beratung für gesellschaftliches Engagement in Zürich, Schweiz. In der Vergangenheit hat sie als Großspenden-Beraterin für das Amerikanische Rote Kreuz und „Ärzte Ohne Grenzen“ in der Schweiz gearbeitet. Ihr Fundraising-Diplom hat sie bei Adrian Sargeant abgeschlossen und ist Beiratsmitglied bei AFP Global, SwissfundraisingDay, und Mitgründerin und Mitglied in der SwissFundraising Major Donor Fachgruppe.

Deutsch von Rico Stehfest
Foto: pexels.com


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