Das Build-Measure-Learn-Prinzip: Was NGOs sich von Start-ups abschauen können
Immer mehr junge Menschen arbeiten lieber in Start-ups als in NGOs. Was können Organisationen von ihnen lernen, um attraktiver für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu werden?
Auf der Suche nach einer neuen Fundraising-Kollegin ist mir etwas passiert, das ich in meiner NGO-Laufbahn noch nie erlebt hatte. Es gab nur drei Bewerbungen! War es doch in den vergangenen Jahren eher eine Kunst, Job-Ausschreibungen so zu formulieren, dass sich nicht 300 Menschen bewerben, sondern wirklich nur genau diejenigen, die für den Job auch in Frage kamen, so hat sich das Blatt nun vollkommen gewendet. Fast alle Organisationen, mit denen ich spreche, klagen über Probleme bei der Nachbesetzung von Positionen. War früher die Arbeit in einer Organisation noch ein hohes Ziel für viele, gerade junge engagierte Menschen, so scheint es nun, dass gerade die Jungen es nicht attraktiv finden, in Organisationen zu arbeiten.
Lieber bei Start-up arbeiten
Bei den drei Bewerberinnen meiner Ausschreibung war nur eine wirklich qualifiziert für die ausgeschriebene Position, doch als ich sie nach erfolgreichen Gesprächen einstellen wollte, sagte sie ab: Sie wolle lieber für ein Start-Up arbeiten, hatte sie mir erklärt. Diese Aussage hat mich auf eine Fährte gebracht, denn Start-ups sind nach wie vor sehr attraktiv für junge High Potentials, und ich wollte unbedingt herausfinden, weshalb.
Auf den ersten Blick ist ein Start-up doch ein recht unwirtlicher Arbeitsplatz. Hoher Leistungsdruck, Unsicherheit und Selbstausbeutung stehen auf der Tagesordnung. Doch schaut man genauer hin, dann entdeckt man, dass Start-ups sehr wohl etwas bieten können, an dem sehr viele Organisationen scheitern.
Im Rahmen eines Workshops zu diesem Thema fragte ich über 30 Fundraiserinnen und Fundraiser, was für sie wirklich gute Momente im Job ausmacht und was wiederum die wirklich schlechten Momente produziert. Die Antworten waren nicht überraschend: Immer dann, wenn die eigene Wirksamkeit spürbar wird, wenn der Zusammenhang zwischen der eigenen Arbeit und der Mission der Organisation wirklich hautnah gefühlt werden kann, dann ist Arbeit in Organisationen gut. Doch immer dann, wenn Organisationen Stillstand, lange Entscheidungswege und Inflexibilität entwickeln, ist arbeiten frustrierend.
Einfluss und Sinn benennen
Sehe ich mir nun als Organisationsberater verschiedene Organisationen an, dann kommen immer wieder die gleichen Muster zum Vorschein. Mitarbeitende in den Programm-Bereichen, die die Vision der Organisation hautnah erleben, und Mitarbeitende in den Verwaltungs- und Fundraising-Bereichen, die auf die simple Frage „Welchen Einfluss hat deine Arbeit auf die Ziele der Organisation?“ zumeist keine genaue Antwort geben können. Und das uns, wo wir doch in der Sinnbranche leben und arbeiten. Müssten wir nicht die Allerbesten sein, den Sinn unserer Arbeit zu benennen? Sind wir aber leider ganz oft nicht. Organisationen reden gerne über ihre Vision und Mission. Schöne Worte, schöne Ziele. Frage ich dann nach der Wirksamkeit dieser Worte nach innen, verweisen die Vorstände und Geschäftsführungen zumeist auf Broschüren oder Powerpoint-Präsentationen.
Erfolg des Einzelnen
Die einzelne Person in der Organisation muss sich aber jeden Tag über ein eigenes inneres Ziel motivieren, um den manchmal auch frustrierenden Arbeitsalltag zu überstehen. Da helfen die schönen Worte gar nicht. Start-ups haben hier einen ganz klaren Vorteil. Da geht es zumeist ums Überleben des Unternehmens. Erfolg oder nicht Erfolg jedes Einzelnen entscheidet oft absolut direkt über Erfolg oder Misserfolg des Start-up. Doch diese Direktheit lässt sich herstellen. Besonders in Organisationen. Diejenigen, die sich die Mühe machen, ihre Vision auf klare mittelfristige Ziele für die nächsten drei bis zehn Jahre herunterzubrechen, haben schon etwas Greifbares geschaffen. Aber der nächste Schritt ist noch viel wesentlicher: Diese Ziele müssen bis auf die einzelne Person heruntergebrochen werden. Welchen Beitrag leiste ich persönlich? Das ist Sinn.
Führungskräfte bremsen aus
Es muss klar sein: Persönliche Ziele helfen gar nicht, wenn die einzelne Person die Erreichung der Ziele nicht beeinflussen kann. Redet man mit Menschen in Organisationen bei einem Bier am Abend, dann kommt ganz oft zutage, dass sie eine klare Idee haben, wie ihre Arbeit, ihre Leistung, ihr Impact verbessert werden könnten. Doch warum geschieht es nicht? Die Antwort ist immer die Gleiche: „Die da oben …“
Obwohl Führungskräfte die Menschen sind, die dafür verantwortlich sind, dass Angestellte ihren Job gut machen können, haben die meisten Angestellten in Organisationen das Gefühl, dass sie ihren Job besser machen könnten, wenn ihre Vorgesetzten nicht da wären. Je größer Organisationen werden, desto unflexibler werden sie oft. Gute Ideen sollen zumeist in Konzepte gegossen werden, um sie dann von den Menschen, die fachlich weniger wissen als die Mitarbeitenden, bewerten zu lassen. Weil diese aber oft auch nicht entscheiden wollen, delegieren sie die Frage nach oben. Bis dann in vielen Organisationen Entscheidungen an der höchstmöglichen Stelle landen. Nur leider ist das auch zumeist die Position, an der am allerwenigsten Fachwissen da ist, um eine Entscheidung zu treffen. Die Macht, etwas festlegen zu dürfen, und das Fachwissen, um zu entscheiden, sind zwei verschiedene Dinge.
Fehlertoleranz notwendig
Die Lösung heißt Subsidiarität: konsequent die Entscheidungen einer Organisation auf die operative Ebene bringen und dort entscheiden. Im Zweifel nach unten delegieren, heißt das Rezept der Wahl. Doch funktioniert dies nur, wenn Subsidiarität mit seinem Zwilling daherkommt: der Fehlertoleranz. Niemand entscheidet etwas freiwillig im Wissen: „Falls es falsch war, werde ich deswegen gekreuzigt.“ Leider spielen immer noch viel zu viele Organisationen das „Blame Game“. Lauft etwas falsch, wird nicht gefragt: „Was lernen wir daraus, um es besser zu machen?“, sondern die Frage ist nur: „Wer ist schuld?“. So werden Entscheidungen verlangsamt, es kommt zu angstgetriebenen Entschlüssen, frustriertem Personal und leider auch erfolglosen Organisationen. Die Krisen der letzten Jahre haben sehr deutlich gezeigt, welche Organisationen es schaffen, sich an neue Gegebenheiten anzupassen und welche in Schockstarre verfallen. Die immer schnelleren Veränderungen in einer globalisierten Welt treffen diejenigen Organisationen, die sich selbst nicht flexibel anpassen können, umso härter. Start-ups sind da im Vorteil. Veränderung ist eine Überlebensfrage. Was dem Erfolg nicht dient, wird so lange verändert, bis es hilft.
Was funktioniert wirklich?
Wer in einer sich schnell verändernden Umwelt erfolgreich sein möchte, muss in der Lage sein, nach kreativen Lösungen und Wegen zu suchen. Viele Organisationen haben sich ein Weltbild zurechtgezimmert, wie ihre Arbeit funktioniert. Wenn sie nun vor die Aufgabe gestellt werden, neue Wege zu erfinden, scheitern sie am eigenen Wissen darüber, was bisher funktioniert hat. Wir müssen lernen, unser Wissen auszulassen, um uns zu trauen, Neues zu lernen oder zu erfinden. Der Systemiker Fritz B. Simon hat so trefflich provokativ formuliert: „Wissen macht lernbehindert.“ Speziell im Fundraising ist es unabdingbar, bestehende Erfahrungen ständig zu hinterfragen. Bewegen wir uns doch von einer Spezialistinnen-Branche hin zu einer Forscherinnen-Branche.
Das Build-Measure-Learn-Prinzip
Doch muss uns klar sein, dass das nur dann Erfolg hat, wenn wir konsequent messen und wertfrei bewerten, welche Ergebnisse unsere Arbeit bringt. „Build, Measure, Learn“ wird in der Start-up-Szene gepredigt. Viele Organisationen sind schon zufrieden, wenn sie betrachten, was sie an Output produzieren. Die spannende Veranstaltung, der schöne Folder, das gut designte Mailing … All das macht Organisations-Mitwirkende oft glücklich. Leider ist dieses Glück oft nur von kurzer Dauer, wenn die Frage „Was hat es gebracht?“ ignoriert wird. Wenn nicht konsequent gemessen und evaluiert wird, nehmen wir uns die Möglichkeit, uns zu verbessern. „Build, Measure, Learn“ bewegt Entwicklungen in Organisationen in Schleifen voran. Das widerspricht der gelernten linearen Logik aus dem Projektmanagement, bringt uns aber viel weiter.
Viele Organisationen haben in den letzten Jahrzehnten ihre Strukturen und Arbeitsweisen professionalisiert. Die Modelle dafür kommen oftmals aus der Wirtschaft und der Management-Lehre. Doch Organisationen sind nicht zu vergleichen mit einer Fabrik. Andere Ansprüche benötigen auch eigene Management-Formen, um leistungsfähig zu sein. Orientieren wir uns lieber an der Kraft und Kreativität von Start-ups anstatt Management-und Controlling-Modelle aus dem zwanzigsten Jahrhundert zu implementieren.
Agilität ist Erfolg
Organisationen, in denen alle Mitarbeitenden wissen, was sie persönlich zu den Zielen beitragen, in denen Menschen selbst über ihre Arbeit entscheiden können, in denen sie motiviert werden, Risiken einzugehen, kreativ zu sein und neue Wege zu beschreiten – in solchen agilen Organisationen sind Mitarbeitende überdurchschnittlich erfolgreich. Und das macht auch die Organisationen überdurchschnittlich erfolgreich. Und die Menschen, die dort arbeiten, zufrieden. In solchen Organisationen wollen auch junge Menschen tätig sein und sich entfalten. Streben wir doch einfach nach Glück.
Der Autor dieses Beitrags, Gerhard Pock, MAS, ist Berater für Non-Profit-Organisationen mit dem Schwerpunkt Fundraising. Er hat selbst über 25 Jahre in Organisationen gearbeitet und schon mehrere erfolgreiche Start-ups (Profit und auch Non-Profit) gegründet. Sein Leitsatz ist: „Die/der beste Fundraiser*in ist immer nur so gut wie die Organisation, in der sie/er arbeitet. Machen wir Organisationen besser, damit unser Fundraising besser wird.“ Mehr zu Gerhard Pock unter www.pbz.co.at
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