„Reichtum schenkt mir Freiheit zur Unsittlichkeit“

Unsere andauernde Statusreproduktion ist mit dafür verantwortlich, dass es den armen Pöbel gibt und dass dieser der Gesellschaft gefährlich werden kann. Dieser Ansicht ist Björn Vedder, promovierter Literaturwissenschaftler und Philosoph. Mit seinem Buch „Reicher Pöbel“ beleuchtet er die Kritik an reichen Menschen, aber auch deren Kritiker selbst. Im Gespräch mit unserem Redakteur Rico Stehfest erklärt er, wie Reichtum und Moral zusammenhängen, warum eine Spende ein Akt der Willkür ist und inwiefern die AfD auch mal recht hat.

Verdirbt Geld den Charakter?
Ja. Studien zeigen: Je mehr Geld Sie haben, desto mehr sind Sie von sich selbst eingenommen und meinen, ein höheres Recht auf Glück und Leben generell zu haben. Und desto schwerer fällt es Ihnen, Ihre Interessen für andere hintanzustellen. Außerdem wachsen mit zunehmendem Reichtum die eigenen Möglichkeiten. Allerdings funktioniert der Umkehrschluss nicht. Ärmere Menschen haben nur weniger Möglichkeiten, aber nicht automatisch einen besseren Cha­rak­ter. Sie verhalten sich sozial ko­ope­ra­tiv, weil sie glauben, so Kontrolle über ihr Leben zu bekommen, die sie so nicht haben. Nietzsche nannte das Sklaven­moral.

Lässt sich sagen, warum wir Reiche überhaupt kritisieren?
Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Unsere Gesellschaft basiert auf dem Ausgleich der individuellen Interessen. Dieses Zusammenspiel wird jedoch durchbrochen, wenn jemand zu schwach wird, um die eigenen Interessen durchzusetzen oder eben zu stark und dadurch den Spielraum anderer einschränkt. Neid spielt dabei eventuell eine Rolle, aber die Empörung Reichen gegenüber ist durchaus berechtigt. Die Konzentration der Vermögen in den Händen weniger begrenzt stark die Möglichkeiten der anderen. Außerdem ist durch den neoliberalen Politikwechsel der Eindruck entstanden, es wäre okay, sich zum Herren fremder Not aufzuspielen. Es scheint politisch gewollt, dass der Stärkere den Schwächeren beherrscht. Zusätzlich schwindet langsam das Vertrauen in ein beständiges Wirtschaftswachstum, das die Unterschiede versöhnen könnte, weil es allen zunehmend besser geht. Wir scheinen eher düsteren Zeiten entgegen zu gehen.

Warum wird Reichen in der Regel eine sittlich-moralische Verantwortung zu­ge­schrieben, von der Arme befreit zu sein scheinen?
Ein großer Teil der Kritik an den Reichen beruht darauf, dass diese sich nicht in dem Maße kooperativ verhalten wie andere. Ihr Reichtum beschert ihnen die Freiheit dazu. Sie können zur Kooperation nicht gezwungen werden. Also sollen sie sich aus eigener Kraft kooperativ zeigen. Wenn sie das nicht tun, ruft das Empörung hervor. Sie gelten dann als reicher Pöbel. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Menschen, die sich ökonomisch stark unter Druck fühlen und den Eindruck haben, nicht mehr mitkonsumieren zu können und also nicht mehr mitzuzählen. Von denen wird jedoch erwartet, dass sie ihr Leid still ertragen. Tun sie es nicht, sondern empören sie sich gegen die Gesellschaft, gelten sie auch als Pöbel, nur eben als armer Pöbel. Wir erwarten also von beiden Gruppen eine höhere moralische Verantwortung. Die einen sollen kooperieren, obwohl sie es nicht müssen, die anderen, obwohl es ihnen nicht nützt.

Björn Vedders Buch „Reicher Pöbel. Über die Monster des Kapitalismus“
ist im Büchner-Verlag erschienen.
ISBN: 978-3-96317-126-0.
[D] 18,00 €, [A] 18,00 €, CHF 25,15.
www.bjoernvedder.de

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Wie kommt es dann, dass unsere markt­wirtschaftliche Gesellschaft Rei­che aus ihren sozialen und sittlichen Ban­den entlässt, wie Sie es in Ihrem Buch for­mu­lie­ren?
Das Band, von dem hier die Rede ist, ist ein Band der Not, wie es Hegel nannte, weil wir davon abhängig sind, die Interessen eines anderen zu befriedigen, um unsere eigenen Interessen zu befriedigen. Je weniger ich in meiner Not an andere gebunden bin, desto größer ist meine Möglichkeit, nur meine Interessen zu befriedigen und umso mehr ich das tue, desto unsittlicher bin ich. Mein Reichtum schenkt mir eine Freiheit, die es mir erlaubt, unsittlich zu sein. Diese Art von Wohlstandsverwahrlosung ist nichts, wozu sich Reiche entscheiden, sie geschieht mit ihnen. Der Reiche pöblisiert. Es sei denn, er strengt sich moralisch besonders an. Die dazu nötigen Muskeln schwinden aber mit zunehmendem Reichtum.

Ist das wirklich eine Form der Freiheit?
Es gibt ja verschiedene Definitionen von Freiheit, zum Beispiel die Forderung, dass meine Freiheit eine Freiheit sein soll, die die Freiheit des anderen mit einschließt und Gleichheit voraussetzt. Die Freiheit gleicher Brüder. Als Ideal finde ich das toll. Aber die Freiheit, die uns zusammenhält, ist weniger moralisch und einfacher. Unsere bürgerliche Freiheit ist Willkür. Ich kann mich für oder gegen etwas entscheiden, nach Belieben. Das ist die Grundlage jeder Freiheit. Mit Eigentum frei verfahren zu können, ist Freiheit. Man kann um Spenden bitten, aber ob der Spender etwas gibt, ist ihm freigestellt. Unser bürgerliches Recht ist ja ein Schutzrecht, es schützt mich vor moralischen Forderungen und erlaubt mir, mit meinem Eigentum willkürlich zu verfahren.

In Ihrem Buch schreiben Sie auch: „Das Moralisieren grassiert – und mithin die Selbstdarstellung als Opfer.“ Können Sie das erläutern?
Das hat mit dem Trend zu tun, die eigene Individualität herauszustreichen. Indem ich eine moralische Anforderung formuliere, einen Wert behaupte, setze ich mich in Differenz zur Welt und meine, dass sie anders sein sollte. Und mit dieser Differenz markiere ich meine Individualität. Zu moralisieren ist eine der Strategien, mit denen sich Mensch selbst Wert verleihen und als etwas Besonderes aufspielen. Das zeigt sich auch im moralisierenden Konsum – etwa Bio-Essen – oder in Stiftungen, mit denen ich zeigen kann, was mir bestimmte Dinge wert sind. Wenn ich mich selbst als Opfer darstelle, entlasse ich mich aus der eigenen Verantwortung. Ich bin gut, die Welt ist schlecht – und ich kann nichts dafür. Selbst wenn ich als Opfer der Unterlegene bin, bin ich derjenige, der moralische Achtung verdient.

Dieser Aspekt der Verantwortung spielt in die Kritik an Reichen hinein. Wir machen sie zu Sündenböcken und legen ihnen alle negativen Konsequenzen unseres ökonomischen Systems zur Last, damit wir dieses System selbst unangetastet lassen und weiter von ihm profitieren können. Und indem wir die Reichen als besonders dämonisch darstellen, machen wir uns oder unsere Gesellschaft zu ihren Opfern und entledigen uns der Verantwortung. Denn wer wollte die Schuld schon bei uns oder den ökonomischen und sozialen Strukturen suchen, wenn wir es bei den Reichen mit dem Bösen selbst zu tun haben?

Dabei verhalten sich weite Teile der Bevölkerung des globalen Nordens den Menschen im Süden gegenüber genauso, wie sie es am reichen Pöbel beklagen. Zu diesem reichen Pöbel zweiter Klasse gehöre ich auch. Wir sind der reiche Pöbel der Weltgesellschaft, vertuschen das aber, indem wir alles Negative auf die Supereichen projizieren und uns in unserem Konsum und mit Moralisieren selbst Wert verleihen. Wir kaufen zwar unser Essen im Biomarkt, lassen uns die Laufschuhe aber trotzdem von asiatischen Kindern nähen. Das ist heuchlerisch und verlogen. Der Pöbel brandmarkt den Pöbel.

Und genau damit machen wir der Mitte der Gesellschaft den Garaus, wie Sie es formulieren?
Nicht wir, aber die Allianzen des armen und des reichen Pöbels, wie wir sie in den rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen finden, könnten das tun. Wenn Pegida und AfD die Bürger der Mitte als Gutmenschen denunzieren, haben sie ja recht. Ein weiterer Grund ist meines Erachtens die kulturelle Überheblichkeit der neuen Mitte. Die Feier des Besonderen wertet das Normale ab. Und die Verknüpfung von sozialem Status und Konsum wertet diejenigen ab, die nicht mitkonsumieren können.
In der Verbindung mit einem größeren ökonomischen Druck, mit Abstiegsangst und vielleicht sogar Hoffnungslosigkeit rufen diese Abwertungen bei vielen eine große Empörung gegen die bürgerliche Mitte hervor. Und ich glaube, dass diese Empörung bei den Anhängern der Rechtspopulisten größer ist als gegen die Superreichen und sie es sich einiges kosten lassen würden, wenn einer mit der bürgerlichen Gesellschaft kurzen Prozess machte. Die damit verbundene Feindseligkeit gegen die Gesellschaft und ihre zivilisatorischen und demokratischen Errungenschaften macht diese Empörten zum Pöbel. Ich glaube, dass uns diese Allianzen des armen und reichen Pöbels gefährlich werden können und dass es deshalb in unserem eigenen Interesse ist, die bürgerliche Gesellschaft gegen sie zu verteidigen. Ein erster Schritt wäre zuzugeben, dass auch wir Pöbel sind – und zweitklassig zumal.


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